WETTBEWERB | GEDENKSTÄTTE KZ SACHSENBURG „KOMMANDANTENVILLA“ | 2020
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GEDENKSTÄTTE KZ SACHSENBURG „KOMMANDANTENVILLA“
Leider schied der Beitrag von LOA | Lars Otte Architektur im letzten Rundgang der Jury mit einem Stimmenverhältnis von 5/2 Stimmen aus. Wir freuen uns dennoch einen Beitrag zur Diskussion um den Umgang mit der Gedenkstätte Sachsenburg und der „Kommandantenvilla“ geleistet zu haben.
Ziel dieses Wettbewerbbeitrages ist es, die ehemalige Kommandantenvilla des Konzentrationslagers Sachsenburg als Teil der Gedenkstätte und Ort einer unmenschlichen Machtausübung und des Vergehens gegen die Menschlichkeit zu erhalten. So soll das baulich schwer in Mitleidenschaft gezogene Gebäude teilweise abgerissen werden und als Gedenkort überformt und neu aufgebaut werden.
Hierfür schlägt der Entwurf den Erhalt des Sockel- und Kellergeschosses vor, sowie die Schaffung eines Raumvolumens, das der ehemaligen Kommandantenvilla nachempfunden ist. Das Volumen wird formal reduziert und abstrahiert.
Die Zuwegung zur Kommandantenvilla geschieht über den Appellhof. Ein ehemaliger Wachtposten wird über einen massiven Betonkubus symbolisiert. Hier entsteht ein Treffpunkt für Gruppenführungen. Auf einer Informationstafel stehen erste Informationen zur Kommandantenvilla zur Verfügung.
Die Außenanlagen sind dem Situationsplan aus dem Dezember 1935 nachempfunden. Der ehemalige Garten der Villa wird als wassergebundene Decke flach ausgebildet und durch große Betonrandsteine eingefasst. Im Nordosten sind Sitzbänke angeordnet. Die abgeschirmte Lage bietet Ruhe zum Verweilen und Gedenken.
Im ehemaligen Garten ist eine symbolische Aufschüttung verortet, auf der ein Baum gepflanzt ist. Dieser Ort soll das Gedenken an den jüdischen Frauenarzt Dr. Boas aufrecht erhalten, der jahrelang auf einem Steinhaufen unter menschenunwürdigen Umständen seine Arbeit verrichtete. Ein Schild wiederholt seine aufgezwungenen Worte: „Ich bin der Dr. Boas aus Crimmitschau das gottverfluchte Judenaas, die Judensau.“
Allen im KZ zu Tode gekommen Häftlingen wird in diesem kargen Garten anhand von Kunstwerken gedacht.
Der Natursteinsockel der ehemaligen Kommandantenvilla, sowie das Kellergeschoss der Kommandantenvilla, wird baulich und statisch ertüchtigt. Der Rest des Gebäudes wird in Abstimmung mit dem Denkmalschutz, Biochemie, Sanierungssachverständigen und Restauratoren sorgfältig zurückgebaut. Alle erhaltenswerten Bauteile sowie das Inventar werden sondiert, auf- bereitet und eingelagert. (Relevante Elemente der Kommandantenvilla sollen im neuen Bauwerk verbaut und ausgestellt werden.)
Die Gebäude-/Raumhülle des Entwurfes soll komplett aus den vorhandenen Backsteinen des Bestandsgebäudes in Filtermauerwerk hergestellt werden. Diese bildet die Grundgeometrie der ehemaligen Kommandantenvilla ab, wird in ihrer Ausformulierung jedoch neu interpretiert. Funktional bleiben Öffnungen und Eingänge an ehemaliger Stelle erhalten. Das Eingangsportal samt Außentreppe bleibt als Zugang zum Gedenkort bestehen. Innerhalb der Raumhülle wird die ursprüngliche Gebäudestruktur abstrakt nachgebildet.
So bleiben im Bodenbelag (Klinker + Drainage) des Erdgeschosses die Positionen der ehemaligen Innenwände als schwarz eingefärbte Fehlstellen eingeschrieben. Die Innenwände werden über eine leichte Stahl-Stabstruktur nachempfunden. Diese dient neben der abstrakten Raumbildung auch zur Aufnahme von Ausstellungs-exponaten, als Informationsträger sowie zur medialen infrastrukturellen Vernetzung. Erhaltenswerte Exponate und Bauteile können sowohl am Originalort ausgestellt werden als auch variabel in der Stabstruktur präsentiert werden. Je nach Bedarf werden die Exponate wetterfest präpariert oder in Vitrinen ausgestellt, beleuchtet und audiovisiuel präsentiert.
Dieser Wettbewerbsbeitrag schafft nicht nur einen Ort des Bewahrens und Vermittelns, er inszeniert zusätzlich die Beziehung zwischen Lagerkommandanten und Häftlingen. So werden historische, direkte Blickbeziehungen aufgezeigt und gleichzeitig die Omnipräsenz der beiden Gegenpole, Opfer und Täter, Gefangener und Machthaber durch diffuse Blickbeziehungen vor Augen geführt.
Was innerhalb der Kommandantenvilla vor sich geht, wird durch ein Gittermauerwerk verschleiert und ist von außerhalb nur zu erahnen. Gerade diese bedrohliche Präsenz des nur teilweise Sichtbaren und die daraus entstehende Angst der Lagerinsassen soll nachempfindbar gemacht werden.
Von Innen betrachtet, inszeniert der Beitrag die zentralistische Machtposition der Täter bzw. der Lagerleitung. Das Lagerareal bleibt im Inneren der Villa diffus verschleiert aber omnipräsent. Bewegungen bleiben auch durch das Filtermauerwerk hindurch wahrnehmbar.
Die schießschartenähnlichen Öffnungen an Position der ehemaligen Fenster ermöglichen direkte historische Blickbeziehungen. Die Enge der Öffnungen zwingt zum konzentrierten Herantreten und fokussierten Ausblick, sie bildet somit einen Kontrast zur diffusen Außenraumwahrnehmung durch das Filtermauerwerk.
Wenn vorhanden, werden neben den Fenstern historische Fotos mit Ausblicken aus der Betriebszeit des KZ ausgestellt, was den Vergleich zwischen damals und heute ermöglicht. Von Außen unterstreicht die Ähnlichkeit der Ausblicke zu Schießscharten die bewusst inszenierte, bedrohliche Anmutung des Entwurfes.
Die Geschichte der Lagerkommandanten und des Personals wird anhand eines Zeitstrahls, verschiedener Fotos und Informationstafeln erzählt. Neben der Leitung des Konzentrationslagers stand auch die Ausbildung der Wehrkräfte und der SS im Fokus der Lagerleitung. Von der Terrasse der Villa sind Blickbeziehungen zum Schießstand und zum Appellhof möglich.
Neben dem klassischen Gedenkort soll dieser Beitrag auch einen Ort zur interkulturellen Kommunikation schaffen. Der Entwurf bietet sowohl im Innenraum als auch im Außenraum qualitätsvolle Orte, die von Kunstschaffenden genutzt werden sollen. Vor allem jüdische und deutsche Künstler sollen über Konzerte, Ausstellungen und Kunstseminare in einen Dialog treten und den Ort aktiv bespielen. So wird beispielsweise auch direkt Betroffenen die Möglichkeit gegeben, ihre Trauer, Betroffenheit und Wut zu artikulieren, oder es werden aktuelle gefährliche Tendenzen thematisiert. Es sollen aber auch ganz konkret Kunstwerke geschaffen werden, die vor Ort an die Geschichte und das Leid der KZ-Insassen, aber auch die Machtstrukturen und Verbrechen der Lagerkommandanten, der Wehrmacht und SS erinnern.
Dieser Entwurf zur Kommandantenvilla ist somit nur der Beginn einer noch zu erzählenden Geschichte und der Auftakt zu einer noch ausstehenden Auseinander-setzung. Dieser Ort soll mehr als ein herkömmlicher Gedenkort werden, er soll auch die zukünftigen Generationen zur Teilhabe an einem Diskurs über die omnipräsente Gefahr von „Rechts“ anregen.
Eine Gefahr die noch lange nicht gebannt ist.